ABSCHNITT 5

Irgendwer oder irgendwas meint, mitten in gefühlter Nacht außerhalb des Zeltes der Igel-Brüder Lärm machen zu müssen. Widerwillig hebe ich mich von der Isomatte und öffne das erste Auge. Aua. Die Mehrheit scheint schon wach zu sein und als ich rein in die Kutte nebst Stiefel und raus aus dem Zelt bin, erfahre ich, während mein Körper Stück für Stück auf Betriebsbereitschaft schaltet, wie tief gestapelt meine Vermutung war. Einige sind sogar schon weg!
Maik 3979, Bockes und Gefolge haben bereits Stunden zuvor die Koffer gepackt um möglichst früh, möglichst schnell und möglichst reibungsarm in den Stau zu kommen. Bitte schön, wir zwingen niemanden zu einem stressarmen Leben

Der grobe Teil der Mannschaft ist allerdings noch anwesend und wuselt rast- und schlaflos um seine, teilweise bereits demontierten, Zelte. Schaut man in die Gesichter der umherstreifenden Zombies, stellt man sich so Kriegsheimkehrer oder Leute nach Besteigung des Mount Everest vor
Aber man selbst schaut ja nicht minder zerknittert aus der Wäsche und ausserdem, wie alle anderen, das man alles, was erhaltungswürdig und wertvoll ist, zusammengesammelt bekommt.
Bei mir ist das neben der Kamera, einigen (fast unbenutzten CDs) und dem, zu meiner Überraschung noch existierenden, Camping-Gästebuch natürlich auch der schwere Bilderrahmen, den ich Samstag Nacht auf der True Stage entgegengenommen hatte und der momentan noch in einem der Büros im Bereich hinter den Bühnen auf mich wartet. Hab ich Samstag Nacht echt auf der True Stage gestanden?? Unglaublich. Ein kurzes Handygespräch später weiß ich grob, wo ich das Teil abholen kann. Mittlerweile krabbelt auch etwas, das Ähnlichkeit mit dem Metaligel hat, aus unserem Zelt. Kurz überlegen wir, das verfluchte Teil einfach stehen zu lassen oder zumindest anzuzünden aber wie "so oft" siegt die Vernunft und wir bauen das rote Biest gemäß der Anleitung auseinander. Genau genommen wog noch schwerer als das rationelle Denken (das wir trotzdem in Perfektion beherrschen und auch anwenden! ) der Fakt, das die faltbare Behausung nun schon seit einigen Jahren mit aufs W:O:A reist und somit metallene Immunität genießt. Denkmalschutz kann man das auch nennen, wie ihr wollt.

Nachdem wir ein volles (volles!) 5L-Fäßchen Bier als Dank mit einem Gruß an die Reinigungsmannschaft (In etwa: "Bitte schön. Danke fürs Aufräumen!") mit "Pommesgabeln" verziert an der Stelle unserer einstigen Feier- und Fress-Stelle zurückgelassen hatten, machten sich Metaligel und ich auf, den Bilderrahmen abzuholen. Leichter Regen durchzog die Luft und obwohl ich dieses Bild in den letzten Tagen nun wahrlich nicht das erste Mal zu sehen bekam, sah es jetzt, am

frühen Wacken-Sonntag doch ganz anders aus. Weite Teile des Areals waren bereits leer, wenige Gestalten standen um ihre Autos oder Zelte und hier und da gruben sich Autos langsam durch das Schlammbad, das irgendwo mal als Transportweg auf einer Karte verzeichnet worden war. 

Mit leichten Sorgenfalten sah ich unserer Schlittenfahrt aus diesem Chaos entgegen, die wir ja nicht mit einem kleinen, handlichen Kleinwagen, sondern mit einem ausgewachsenen Transporter zu bestehen hatten!
Doch das war vorerst nebensächlich. Wir waren auf dem Weg zum Lieferanteneingang, den man besser unter der Bezeichnung "Panzer-Teststrecke" gefunden hätte! LKWs, die mit allerlei Zeug beladen waren, Gabelstapler, Trecker und anderes Gerät schob sich über diesen Versorgungspfad. Die Abräumarbeiten liefen bereits. Hier zu gehen war fast noch abenteuerlicher als auf Stelzen ein Eishockeyspiel gewinnen zu wollen aber Metaligel und ich kämpften uns wacken.. ähh... wacker vor, bis wir im (ehemaligen) Backstage-Bereich nach einem weiteren Anruf das Bild, regengeschützt unter einer Folie, in Empfang nehmen konnten. Yeah, es war also Samstag doch wirklich passiert
Zurück an dem Ort, in und um den herum gestern noch der Metalbär im Dreieck gesteppt hatte, waren schon alle soweit fertig zur Abreise. Doch vorher schossen wir noch ein Erinnerungsfoto. Sozusagen das letzte vom Campground.
Das letzte aus Wacken!

Das teilweise recht deutliche Leiden in den Blicken ist nicht gestellt, sondern Zeugnis brachialen Feierns ohne Rücksicht auf Verluste an Körper und Nerven
Verdammt, haben wir wieder gerockt! Ich weiß nicht, wie der Lux so was immer wieder überleben kann, hahaha! Aber weiter im Text...

Auf dem ganzen, nach Willkür sortiertem, Gepäck in unserem Bulli lagerten wir das Bild rutschfest in einer Decke und machten uns vom Gehöft, wie man bei uns im Sauerland sagt.
Mit offener Seitentür und gelegentlichen Statusangaben wie "passt!" rollten wir langsam, wenn auch eng, an Bäumen und Sträuchern vorbei über den schlammigen Wackengrund und schoben auf dem Weg vom Gelände mit mehreren Mann noch ein roter Kleinwagen aus der Mocke.
Bald hatten wir asphaltierten Boden unterm Profil und rollten aus dem Dorf, aus dem wir nun, mit vorgeschriebenen 50 Km/h, viele unvergessliche Erinnerungen mit nach Hause trugen. Einige von ihnen haben in diesem Bericht Platz gefunden, von einigen war mir vielleicht nichts bekannt und von ein paar soll hier vielleicht auch nicht geschrieben sein
Wie auch immer: Wir entfernten uns von der Wackener Hauptstraße, von Itzehoe, von Schleswig-Holstein und irgendwann von Norddeutschland generell. Wir steuerten unserer Heimat, unseren warmen Duschen und Betten entgegen, nach denen unsere Körper Nervenderweise immer wieder riefen.
Hier könnte sie enden, die Geschichte des Wacken Open Airs 2005, doch wollen wir das!? Nein!

Außerdem ist eine derart langweilige Heimreise wie 2004 doch irgendwie... langweilig Wacken schließt natürlich Hin- und Rückfahrt mit ein und letzteres war laaaange noch nicht abgeschlossen. Wie wäre es mit einem Stau?
Kein Problem, davon hat der Highway To Hell aus Wacken jedes Jahr genug für uns übrig. Mittlerweile dachte der Verkehrsgott (nicht Eros, der andere! ) vielleicht, wir gewöhnen uns langsam an zähflüssigen Verkehr bei warmen Bier und bescherte uns einen handfesten Stillstand ohne Hoffnung auf zügige Auflösung! Yeah, Wacken wahr wahrlich noch nicht vorbei!
Und was macht man auf Wacken? Rocken? Natürlich. Doch das ging auch ganz gut bei voller Fahrt, die momentan allerdings außer Frage stand. Grillen? Gute Idee! Nach einiger Zeit bei Tempo 150 (Meter/Tag) verließen wir den Stau und bogen auf einen kleinen Parkplatz ein, auf dem wir uns die restlichen Würstchen geben wollten. Schnell wurde noch ein 5000-ml-Döschen angestochen und schon konnte es losgehen.


Na ja, fast. Nachdem Igel-Hunter, wie links auf dem Foto dokumentiert, seine Camperfähigkeiten erneut unter eindrucksvollen Beweis stellte und Kohle an- statt abbaute, schien sich der, so everlastingeingestufte, Stau langsam aufzulösen! Es ging weeeeeiter!
Zwischen weiteren, unschockenden Staus probten Allmighty Schrambo (aka Börni / aka Ryu) und ich Violent Dancing zu Axxis und sogar Metalcore und das alles im Sitzen! Man lernt nie aus von diesen Jungspunden



Und dieser Mann fuhr in Zivi-Zeiten in KRANKENWAGEN mit!

Seltsamerweise wurden wir dieses Jahr (meines Wissens ) nicht von den grünen Helfern angehalten. Hilft es euch, wenn ich jetzt schon mal ankündige, das ich wieder Fahrer bin in 2006!? 
Aber eine andere Tradition ließen wir uns nicht nehmen und die bestand im Verzehr von gepresstem Fleischersatz zwischen Brötchengummi an Chemiesoßen und Farbstoff E1063, kurz: Fastfood!

Wie üblich war in der Frittenschmiede mit dem M im Namen nicht nur Gelegenheit, mal ein Waschbecken oder einen adäquaten Boiler aufzusuchen, sondern die Bude war wieder gerammelt voll mit Metalheads, die Lieder anstimmten und sich gegenseitig mit Gutscheinen des "Restaurants" versorgten. Irgendwie ist dieses kleine, hungerstillende Happening für mich immer der letzte, wirkliche Kontakt mit dem Festival. Zum letzten Mal herrscht Ausnahmezustand, zum letzten Mal feiert man zusammen, zum letzten Mal kann man Wacköööööööööön! brüllen, ohne gefragt zu werden, was man denn damit sagen wolle
Nach geschlagenen zehn Stunden und 30 Minuten (ab jetzt sind alle Zeitangaben wieder MEZ und korrekt) stoppte das Metalmobil vor meiner Wohnung in Lüdenscheid!
Ich schleppte meine Klamotten und mich die Treppen empor, polierte das Bild, setzte mich an meinen
Schreibtisch und begann den Spam der letzten Tage zu löschen und die Mails zu lesen.

Ich war zurück, zurück aus Wacken. Und ich war müde. Ich sortierte grob die ersten Sachen aus 

Tage zählen hilft gegen Schlaflosigkeit: 361, 360, 359...

den Taschen und dachte beim Betrachten diverser Mitbringsel an die geilen Tage, die wir seit Mitte der Woche zusammen durchlebt hatten. Wird uns das alles in, sagen wir 20 Jahren, irgend jemand glauben? Wacken 2005 - wir waren dabei!

Während mein Tag langsam aber sicher seinem Ende zuging, während zwischen Betreten der Matratze und tiefem Schlaf runde 21 Sekunden vergingen, war der Tag für die anderen noch nicht vorbei.
Iron Maiden´s Two Minutes To Midnight war bereits ein Blick in die Vergangenheit als die anderen in Plettenberg noch den Bulli ausfegten. Nachdem der Metaligel den Igel-Hunter noch zu Hause abgeliefert hatte und um drei Uhr Morgens für ein paar Stunden in seichte Wacken-Träume verfallen war, kam er am Montag zu spät zur Arbeit, mit der wohl besten Entschuldigung im Petto, die man, zumindest als Metalhead, haben kann: Wackööön Opöööön Aiiir!!

Und auch wenn sein Arbeitgeber diese Entschuldigung sicher nicht mit einem Lächeln im Gesicht und gestreckter Pommesgabel entgegengenommen hätte, ist das W:O:A für mich und viele, die ich kenne, der Inbegriff um Metal zu leben und zwar im größtmöglichen Rahmen, ohne Kompromisse! Wacken ist als Festival und Dorf in unserem Leben verwurzelt und untrennbar verknüpft mit

der Urlaubsplanung, dem Ultimo in Sachen Metalfete und natürlich der Wahl an kaufbaren Schuhen, Konserven(bier)dosen und Megaphonen mit Arschlochknopf

 

Sven, Krystian, Axel, EdKai und Maik3979 nach ihrer (taghellen!) Rückkehr

Börni, Chiko, Lux, St(r)ahli, Evil_Igel, Metaligel, Igel-Hunter, Broccoli und Sandra am Ende eines weiteren arschtretendenden Wacken (und ihrer Kräfte )

Für alle, die nicht dabei sein konnten: So war's (im Schnelldurchlauf)